Windkraft ist Petting mit der Atmosphäre   Sie sind wichtig für die Energiewende, aber niemand will Windräder vor der Haustür haben. Warum eigentlich? Mit Vivaldi und Yoga sind sie der schönste Anblick der Welt. VON MELY KIYAK Alles wurde in dieser Welt bedichtet, wirklich alles. Frauen, Blumen, Autos – nur die Windräder, diese sich sanft in der Luft wiegenden Mercedessterne, denen hat noch keiner eine Oper, ein Musical, ein großes Poem gewidmet. Welch himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Lüfte pürierenden Propellerchen mit Nichtbeachtung in Kunst und Poesie zu strafen! Gibt es etwas Poetischeres, als diese aus Stahl geschmiedeten Peacezeichen, die sich nur drehen, wenn Iškur, Baal und Hadad Odem schicken?   Hässlich sind sie, empören sich die Klageweiber und Klagemänner, die ihre Fertighäuser auf parzellierten, mit Kies ausgestreuten Flächen aufgestellt haben und die Windräder aus nächster Nähe sehen. Die Windräder zerstören unsere Ästhetik, jammern sie, die auf dem Land verbliebenen und die große Welt nur noch in sieben mal 800 Meter großen Flachbildschirmen verfolgenden Mitwählerinnen und Mitwähler. Lieber schauen sie auf geflieste Böden, grillen unter bemoosten Carports und bauen ihre Refugien dicht an die Leitplanken, die ihr Grundstück von der Landstraße trennen. Wir kriegen Übelkeit im Auge, echauffieren sie sich, die schon seit Urzeiten keine neuen Menschen mehr sahen, aber viele Monomaisflächen und Silos.   Wenn sie einen Sinn für die Schönheit der Windkraftenergie hätten, würden sie die Vier Jahreszeiten auflegen, wenn sie aus ihren 30 mal 30 Zentimeter großen doppelt isolierten Fenstern schauen, und sich darüber entzücken, wie ihnen die Windräder im Vivaldi-Takt winken.   Windkraft ist Sinnlichkeit. Windkraft ist Zärtlichkeit zur Natur. Kohle- und Atomstrom hingegen sind hart, schmutzig und unnachgiebig zum Menschen. Wer schon einmal gesehen hat, wie unter Tage zermürbte Männer mit ihrem Werkzeug Kohle aus dem Schacht hämmerten und anschließend krebskrank in Frührente gingen, versteht: Windkraft ist Petting mit der Atmosphäre. Windkraft macht keine Menschen kaputt. Sie benutzt etwas, das vorhanden ist, und wandelt es in etwas um, das man braucht. Man hat die Wahl: Man macht die Schönheit des Lebens, der Natur, der Welt kaputt, indem man darauf beharrt, dass kein Ding die freie Sicht auf die nächste Mülldeponie oder Großhandelshalle versperrt. Oder aber man gibt sich einen Ruck und kommt zur Besinnung.   Wenn die Windräder so toll sind, dann stellt sie doch in eure Scheißstädte, dreht die vom Anblick der Windkrafträder verwöhnte Landbevölkerung durch. Solchen Sperenzchen muss man mit Geduld begegnen. Landbevölkerung zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Bewohner die Wohnungen über ihren eigenen oder in direkter Nachbarschaft dazu kaufen, aus Angst, dass Mitbürger unterm selben Dach wohnen. Wenn sich jetzt in der Ferne auch noch Metall dreht, dann macht ihr das Angst, dann ist das zu viel Welt im Umkreis vom eigenen Dunstkreis. Schon kickt die Hypochondrie: Von Infraschall ist die Rede, von zerhäckselten Vögeln. Als ob sich hier nur einer um Vögel und ihre Brutplätze sorgte, wenn morgens um sechs der Güllewagen in die Flussniederungen fährt.   Es gibt Abhilfe. Die Krankenkasse bezuschusst Rückentraining und Yoga. Das hilft, runterzukommen von der inneren Unruhe. Aus dem herabschauenden Hund ins Zentrum des Ich atmen und dabei reflektieren, wie privilegiert man auf dem Land ist. Man fährt mit Diesel und spottbillig war das riesige Grundstücke zudem, man sollte sich an die Bürde im Blickfeld gewöhnen. Abstandregel heißt nun aber der Schlichterspruch, den unser Sokrates im Wirtschaftsministerium Peter Altmaier sich ausgedacht hat. Um die Windsterne soll eine Bannmeile von 1.000 Metern gezogen werden. Der Beengtheit im Kopf, das möchte man entgegnen, werden auch keine 1.000 Meter helfen.   Was wäre der nächste Schritt? Bannmeile gegen das Wissen, gegen die Fakten, gegen die Wahrheit: Entweder Heimatschutz, Milieuschutz, Umweltschutz, Deutschlandschutz mit Windrädern oder Strom für den Eigenbedarf im Schuppen erradeln.   Die Abstandsregel soll natürlich wie derzeit die meisten Ideen in diesem in jeder Hinsicht zurückgebliebenen Dorfdeutschland mal wieder die Faschisten besänftigen und eindämmen. Weil AfDler gegen Windkraft sind, sind es CDUler auch. Wo hört das eigentlich auf? Wenn die AfD demnächst die Idee haben sollte, Menschen bei lebendigem Leib aufzuspießen, um damit wieder mehr Wohnraum in den Städten zur Verfügung zu haben, führt Altmaier dann eine Abstandregel für Humanität ein?   Wäre es nicht besser, ein Windradbeschmückungsgesetz einzuführen? Jeder darf ein Windrad garnieren. Das lieben die Deutschen doch so sehr. Was immer es zu behängen gibt, sie behängen es mit Lichterketten, Trockengestrüppkränzen oder Teddybärchen. Ja, okay, Deutschlandflagge ginge auch in Ordnung. Nur die Merkel, das wird manchen im Osten schmerzen, die dürfen sie nicht runterbaumeln lassen.   Würde man jedem Dorfbewohner, der sich gegen Windkraft engagiert, sowie seinen Freunden bei AfD und CDU einen Propeller auf den Kopf schrauben, wäre die Energiewende vollbracht; soviel Wind, wie sie derzeit machen. Aber man ist hier nicht auf Polemikkurs unterwegs, sondern auf den Champs-Élysées der puren Poesie. Quelle: ZEIT ONLINE - 27.11.2019 09:00
 
 
Siegfried Trapp
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Windkraft ist Petting mit der Atmosphäre   Sie sind wichtig für die Energiewende, aber niemand will Windräder vor der Haustür haben. Warum eigentlich? Mit Vivaldi und Yoga sind sie der schönste Anblick der Welt. VON MELY KIYAK Alles wurde in dieser Welt bedichtet, wirklich alles. Frauen, Blumen, Autos – nur die Windräder, diese sich sanft in der Luft wiegenden Mercedessterne, denen hat noch keiner eine Oper, ein Musical, ein großes Poem gewidmet. Welch himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Lüfte pürierenden Propellerchen mit Nichtbeachtung in Kunst und Poesie zu strafen! Gibt es etwas Poetischeres, als diese aus Stahl geschmiedeten Peacezeichen, die sich nur drehen, wenn Iškur, Baal und Hadad Odem schicken?   Hässlich sind sie, empören sich die Klageweiber und Klagemänner, die ihre Fertighäuser auf parzellierten, mit Kies ausgestreuten Flächen aufgestellt haben und die Windräder aus nächster Nähe sehen. Die Windräder zerstören unsere Ästhetik, jammern sie, die auf dem Land verbliebenen und die große Welt nur noch in sieben mal 800 Meter großen Flachbildschirmen verfolgenden Mitwählerinnen und Mitwähler. Lieber schauen sie auf geflieste Böden, grillen unter bemoosten Carports und bauen ihre Refugien dicht an die Leitplanken, die ihr Grundstück von der Landstraße trennen. Wir kriegen Übelkeit im Auge, echauffieren sie sich, die schon seit Urzeiten keine neuen Menschen mehr sahen, aber viele Monomaisflächen und Silos.   Wenn sie einen Sinn für die Schönheit der Windkraftenergie hätten, würden sie die Vier Jahreszeiten auflegen, wenn sie aus ihren 30 mal 30 Zentimeter großen doppelt isolierten Fenstern schauen, und sich darüber entzücken, wie ihnen die Windräder im Vivaldi-Takt winken.   Windkraft ist Sinnlichkeit. Windkraft ist Zärtlichkeit zur Natur. Kohle- und Atomstrom hingegen sind hart, schmutzig und unnachgiebig zum Menschen. Wer schon einmal gesehen hat, wie unter Tage zermürbte Männer mit ihrem Werkzeug Kohle aus dem Schacht hämmerten und anschließend krebskrank in Frührente gingen, versteht: Windkraft ist Petting mit der Atmosphäre. Windkraft macht keine Menschen kaputt. Sie benutzt etwas, das vorhanden ist, und wandelt es in etwas um, das man braucht. Man hat die Wahl: Man macht die Schönheit des Lebens, der Natur, der Welt kaputt, indem man darauf beharrt, dass kein Ding die freie Sicht auf die nächste Mülldeponie oder Großhandelshalle versperrt. Oder aber man gibt sich einen Ruck und kommt zur Besinnung.   Wenn die Windräder so toll sind, dann stellt sie doch in eure Scheißstädte, dreht die vom Anblick der Windkrafträder verwöhnte Landbevölkerung durch. Solchen Sperenzchen muss man mit Geduld begegnen. Landbevölkerung zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Bewohner die Wohnungen über ihren eigenen oder in direkter Nachbarschaft dazu kaufen, aus Angst, dass Mitbürger unterm selben Dach wohnen. Wenn sich jetzt in der Ferne auch noch Metall dreht, dann macht ihr das Angst, dann ist das zu viel Welt im Umkreis vom eigenen Dunstkreis. Schon kickt die Hypochondrie: Von Infraschall ist die Rede, von zerhäckselten Vögeln. Als ob sich hier nur einer um Vögel und ihre Brutplätze sorgte, wenn morgens um sechs der Güllewagen in die Flussniederungen fährt.   Es gibt Abhilfe. Die Krankenkasse bezuschusst Rückentraining und Yoga. Das hilft, runterzukommen von der inneren Unruhe. Aus dem herabschauenden Hund ins Zentrum des Ich atmen und dabei reflektieren, wie privilegiert man auf dem Land ist. Man fährt mit Diesel und spottbillig war das riesige Grundstücke zudem, man sollte sich an die Bürde im Blickfeld gewöhnen. Abstandregel heißt nun aber der Schlichterspruch, den unser Sokrates im Wirtschaftsministerium Peter Altmaier sich ausgedacht hat. Um die Windsterne soll eine Bannmeile von 1.000 Metern gezogen werden. Der Beengtheit im Kopf, das möchte man entgegnen, werden auch keine 1.000 Meter helfen.   Was wäre der nächste Schritt? Bannmeile gegen das Wissen, gegen die Fakten, gegen die Wahrheit: Entweder Heimatschutz, Milieuschutz, Umweltschutz, Deutschlandschutz mit Windrädern oder Strom für den Eigenbedarf im Schuppen erradeln.   Die Abstandsregel soll natürlich wie derzeit die meisten Ideen in diesem in jeder Hinsicht zurückgebliebenen Dorfdeutschland mal wieder die Faschisten besänftigen und eindämmen. Weil AfDler gegen Windkraft sind, sind es CDUler auch. Wo hört das eigentlich auf? Wenn die AfD demnächst die Idee haben sollte, Menschen bei lebendigem Leib aufzuspießen, um damit wieder mehr Wohnraum in den Städten zur Verfügung zu haben, führt Altmaier dann eine Abstandregel für Humanität ein?   Wäre es nicht besser, ein Windradbeschmückungsgesetz einzuführen? Jeder darf ein Windrad garnieren. Das lieben die Deutschen doch so sehr. Was immer es zu behängen gibt, sie behängen es mit Lichterketten, Trockengestrüppkränzen oder Teddybärchen. Ja, okay, Deutschlandflagge ginge auch in Ordnung. Nur die Merkel, das wird manchen im Osten schmerzen, die dürfen sie nicht runterbaumeln lassen.   Würde man jedem Dorfbewohner, der sich gegen Windkraft engagiert, sowie seinen Freunden bei AfD und CDU einen Propeller auf den Kopf schrauben, wäre die Energiewende vollbracht; soviel Wind, wie sie derzeit machen. Aber man ist hier nicht auf Polemikkurs unterwegs, sondern auf den Champs-Élysées der puren Poesie. Quelle: ZEIT ONLINE - 27.11.2019 09:00
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