Spiele der Erwachsenen Johannes Geisler Binswanger, Mathias: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren Herder Verlag, Freiburg 2010, 240 S., ISBN 978–3–451– 30348–7 Es sei gleich gesagt: Es handelt sich bei Binswangers Buch nicht um eine Kapitalismuskritik, sondern um Kritik an heutigen Formen des freien Wettbewerbs im Kapita- lismus, dessen Magie sich in allen Bereichen zu entfalten droht und notfalls solange gefördert wird, bis er sich selbst auch dem Einfältigsten als dummdreister Exzess darstellt, nämlich in Gestalt „sinnloser Wettbewerbe“! Diese sind ein Ausdruck der immer währenden Sucht nach Leistungssteigerung, beflügelt durch das Dogma, dass durch den Wettbewerb der Besten oder des Besten sich tatsächlich ein Fortschritt im Hinblick auf gewünschte Ziele ergibt. Dahinter steckt der ungebrochene Glaube an die Selbstregulierung der Märkte durch Wettbewerb in all seinen Facetten, dargestellt und dokumentiert durch Statistiken und sonstige Erhebungen. Wo Wettbewerbe nicht mehr vorhanden sind – das ist heute sehr häufig der Fall, wie der Autor nachweist – müssen künstliche Märkte oder zumindest Wettbewerbssituationen geschaffen werden. Im Erfinden oder Erfüllen von sinnlosen Wettbewerben waren die Menschen schon immer kreativ, legt er an manchen Bei- spielen dar. Mag dies bei Konsumgütern noch Sinn machen und die Qualität steigern, macht es wenig Sinn in den Bereichen der Bildung, der Wissenschaft und des Gesundheitswesens. Auf zwei ganzen Seiten (122 ff .) gibt er eine Übersicht über außerhalb des Marktes künstlich inszenierte Wettbewerbe und den dadurch produzierten Unsinn, indem diese Bereiche nach Teilnehmern, Inhalt und Resultaten untersucht werden. Dass bei der Forschung z. B. an Universitäten im Zuge der Exzellenzinitiativen und der Jagd nach Drittmitteln wegen der Auswahlkriterien, der Anzahl von Publikationen und zitierten Texten immer mehr belanglose oder unseriöse (!) Publikationen – besonders für Zeitschriften – erzeugt werden, wundert wohl niemanden mehr. Daher wurde eine neue Institution geschaffen, das „Peer-Review-Verfahren“, um „qualitativ hoch-stehende“ Arbeiten besonders für die A-Journale auszuwählen und der möglichen geistigen Flachheit vorzubeugen. Um diesem Verfahren zu genügen, werden die entscheidenden Leute zitiert, was diese wiederum als gelehrter erscheinen lässt, was … (Vielleicht ist daher auch der Groll auf Plagiatoren so verständlich!?). Binswanger konstatiert, dass der Run auf viele Publikationen und Zitierungen letztlich zu Betrug und Fälschungen führt. Vielfach werden auch die Lernenden an anderen Bildungs-institutionen zwecks Ranglisten einseitig auf Bewertungen und Prüfungen bei zunehmend sinkendem Niveau trainiert. Hauptsache, der massenhafte Output stimmt! So an Universitäten, aber auch an Schulen, dies mit unschönen Folgen. Wenn beispielsweise Schulen dem Wettbewerb ausgeliefert würden, werde der schöne Schein des Rankings, so Binswanger, wichtiger als die Erfüllung des Bildungsauft rags mit der Folge, dass der ständige Noten- und Konkurrenzdruck die Gesundheit der Schüler in Gefahr bringe. Ein permanentes Leistungslohnsystem mit „Zuckerbrot und Peitsche“ zerstöre wichtige Fundamente für ein erfolgreiches kreatives Lernen und desavouiere die intrinsische Motivation von Lehrern. Wie ausdeutbar die Wettbewerbe dann auch sein können, bestätigt die bekannteste Studie. Sie zeigt den Unsinn für den Umgang mit Ranglisten und den daraus resultierenden – für deutsche Pädagogen vielleicht tröstlichen – Erkenntnissen am PISA- Test-Sieger Finnland auf. Das auf diesen Wettbewerb konditionierte Land hat laut Statistik der UNICEF Schüler, die meist im Einelternhaushalt oder Patchwork-Familien leben, kaum gemeinsam zu Abend essen, wenig Obst zu sich nehmen, dafür aber sehr viel Nikotin und Alkohol konsumieren, denen die Schule wie in keinem anderen Land verhasst ist. Liegt hier die Pädagogik und Lernpsychologie falsch oder seien die Qualitätsindikatoren unsinnig, weil sich die Qualität nicht an messbaren Indikatoren festmachen lässt? Nebenbei sei noch erwähnt, dass im Siegerland die 95 Prozent Abgänger mit Gymnasialabschluss, da sie nicht auf praktische Tätigkeit vorbereitet und ohne Berufsausbildung sind, die Jugendarbeitslosigkeit (Alter 15 bis 24) auf 19 Prozent heben. Gefährlich wird der Wettbewerb im Gesundheitswesen, wenn durch hohe Fallpauschalen bei geringen Behandlungs- oder Pflegekosten entweder wenige oder unnötige standard- isierte Maßnahmen durchgeführt werden, aber kaum für notwendige, persönliche pflegerische Dienste Zeit bleibt. Behörden, Ärzteorganisationen, Krankenkassen und Verbraucher-organisationen organisierten künstliche Wettbewerbe, die kaum eine messbare Qualität zuließen, unsinnige Reize erzeugten und dabei die intrinsische Motivation der Mitarbeiter zerstörten. Als Beispiele nennt der Verf. die Fallpauschale (Diagnosis Related Groups, DRG), die Qualitätsinitiative FMH und den Versuch des P4P (Pay for Performance-Programm), alles wettbewerbsorientierte Messlatten, finanziell effektiv (sofern die Entstehung einer neuen Gesundheitsbürokratie den angeblichen Nutzen nicht aufzehrt), aber ohne Rücksicht auf das Wohl des menschlichen Objekts. „Qualität im Gesundheitswesen lässt sich nicht messen, stehen wir doch dazu, statt so zu tun, als ob es doch möglich wäre“, lautet sein Bekenntnis. Dieses Eingeständnis ist nur ein Weg aus dem Desaster. Weitere Lösungsvorschläge sieht er z. B. im Aufruf, allen Handelnden mehr zu vertrauen, die Beteiligten stärker einzubinden, mehr persönlicher Verantwortung zu übernehmen, Geldmittel direkt zu verteilen etc. So zieht er als Ökonom den Schluss, dass „verlogene Begriffe wie Qualitätskennzahlen oder Qualitätsindikatoren endgültig von der Bildfläche verschwinden sollen“ (S. 218), da Qualität grundsätzlich nicht messbar sei. Es bleibt allerdings die Frage, wie letztlich seine Aufrufe umgesetzt werden können, wenn die Kargheit der Mittel zu mehr ökono- mischem Handeln zwingt. Es fehlt vielleicht eine tiefer greifende Analyse der mensch- lichen Psyche und der Grundregeln des Zusammenlebens. Auf jeden Fall macht das Buch nachdenklich, obwohl oder gerade weil man viele Dinge schon ahnte, aber sich noch nicht erklären konnte. Es gibt genug Anlass zum Nachdenken, auch über das eigene Verhalten. Quelle: „Deutsche Lehrer im Ausland“, Heft 04/11
Siegfried Trapp
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  Spiele der Erwachsenen Johannes Geisler Binswanger, Mathias: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren Herder Verlag, Freiburg 2010, 240 S., ISBN 978–3–451– 30348–7 Es sei gleich gesagt: Es handelt sich bei Binswangers Buch nicht um eine Kapitalismuskritik, sondern um Kritik an heutigen Formen des freien Wettbewerbs im Kapita-lismus, dessen Magie sich in allen Bereichen zu entfalten droht und notfalls solange gefördert wird, bis er sich selbst auch dem Einfältigsten als dummdreister Exzess darstellt, nämlich in Gestalt „sinnloser Wettbewerbe“! Diese sind ein Ausdruck der immer währenden Sucht nach Leistungssteigerung, beflügelt durch das Dogma, dass durch den Wettbewerb der Besten oder des Besten sich tatsächlich ein Fortschritt im Hinblick auf gewünschte Ziele ergibt. Dahinter steckt der ungebrochene Glaube an die Selbstregulierung der Märkte durch Wettbewerb in all seinen Facetten, dargestellt und dokumentiert durch Statistiken und sonstige Erhebungen. Wo Wettbewerbe nicht mehr vorhanden sind – das ist heute sehr häufig der Fall, wie der Autor nachweist – müssen künstliche Märkte oder zumindest Wettbewerbssituationen geschaffen werden. Im Erfinden oder Erfüllen von sinnlosen Wettbewerben waren die Menschen schon immer kreativ, legt er an manchen Beispielen dar. Mag dies bei Konsumgütern noch Sinn machen und die Qualität steigern, macht es wenig Sinn in den Bereichen der Bildung, der Wissenschaft und des Gesundheitswesens. Auf zwei ganzen Seiten (122 ff .) gibt er eine Übersicht über außerhalb des Marktes künstlich inszenierte Wettbewerbe und den dadurch produzierten Unsinn, indem diese Bereiche nach Teilnehmern, Inhalt und Resultaten untersucht werden. Dass bei der Forschung z. B. an Universitäten im Zuge der Exzellenzinitiativen und der Jagd nach Drittmitteln wegen der Auswahlkriterien, der Anzahl von Publikationen und zitierten Texten immer mehr belanglose oder unseriöse (!) Publikationen – besonders für Zeitschriften – erzeugt werden, wundert wohl niemanden mehr. Daher wurde eine neue Institution geschaffen, das „Peer-Review- Verfahren“, um „qualitativ hoch- stehende“ Arbeiten besonders für die A-Journale auszuwählen und der möglichen geistigen Flachheit vorzubeugen. Um diesem Verfahren zu genügen, werden die entscheidenden Leute zitiert, was diese wiederum als gelehrter erscheinen lässt, was … (Vielleicht ist daher auch der Groll auf Plagiatoren so verständlich!?). Binswanger konstatiert, dass der Run auf viele Publikationen und Zitierungen letztlich zu Betrug und Fälschungen führt. Vielfach werden auch die Lernenden an anderen Bildungs- institutionen zwecks Ranglisten einseitig auf Bewertungen und Prüfungen bei zunehmend sinkendem Niveau trainiert. Hauptsache, der massenhafte Output stimmt! So an Universitäten, aber auch an Schulen, dies mit unschönen Folgen. Wenn beispielsweise Schulen dem Wettbewerb ausgeliefert würden, werde der schöne Schein des Rankings, so Binswanger, wichtiger als die Erfüllung des Bildungsauft rags mit der Folge, dass der ständige Noten- und Konkurrenzdruck die Gesundheit der Schüler in Gefahr bringe. Ein permanentes Leistungslohnsystem mit „Zuckerbrot und Peitsche“ zerstöre wichtige Fundamente für ein erfolgreiches kreatives Lernen und desavouiere die intrinsische Motivation von Lehrern. Wie ausdeutbar die Wettbewerbe dann auch sein können, bestätigt die bekannteste Studie. Sie zeigt den Unsinn für den Umgang mit Ranglisten und den daraus resultierenden – für deutsche Pädagogen vielleicht tröstlichen – Erkenntnissen am PISA- Test-Sieger Finnland auf. Das auf diesen Wettbewerb konditionierte Land hat laut Statistik der UNICEF Schüler, die meist im Einelternhaushalt oder Patchwork-Familien leben, kaum gemeinsam zu Abend essen, wenig Obst zu sich nehmen, dafür aber sehr viel Nikotin und Alkohol konsumieren, denen die Schule wie in keinem anderen Land verhasst ist. Liegt hier die Pädagogik und Lernpsychologie falsch oder seien die Qualitätsindikatoren unsinnig, weil sich die Qualität nicht an messbaren Indikatoren festmachen lässt? Nebenbei sei noch erwähnt, dass im Siegerland die 95 Prozent Abgänger mit Gymnasialabschluss, da sie nicht auf praktische Tätigkeit vorbereitet und ohne Berufsausbildung sind, die Jugendarbeitslosigkeit (Alter 15 bis 24) auf 19 Prozent heben. Gefährlich wird der Wettbewerb im Gesundheitswesen, wenn durch hohe Fallpauschalen bei geringen Behandlungs- oder Pflegekosten entweder wenige oder unnötige standardisierte Maßnahmen durchgeführt werden, aber kaum für notwendige, persönliche pflegerische Dienste Zeit bleibt. Behörden, Ärzteorganisationen, Krankenkassen und Verbraucher-organisationen organisierten künstliche Wettbewerbe, die kaum eine messbare Qualität zuließen, unsinnige Reize erzeugten und dabei die intrinsische Motivation der Mitarbeiter zerstörten. Als Beispiele nennt der Verf. die Fallpauschale (Diagnosis Related Groups, DRG), die Qualitätsinitiative FMH und den Versuch des P4P (Pay for Performance- Programm), alles wettbewerbsorientierte Messlatten, finanziell effektiv (sofern die Entstehung einer neuen Gesundheitsbürokratie den angeblichen Nutzen nicht aufzehrt), aber ohne Rücksicht auf das Wohl des menschlichen Objekts. „Qualität im Gesundheitswesen lässt sich nicht messen, stehen wir doch dazu, statt so zu tun, als ob es doch möglich wäre“, lautet sein Bekenntnis. Dieses Eingeständnis ist nur ein Weg aus dem Desaster. Weitere Lösungsvorschläge sieht er z. B. im Aufruf, allen Handelnden mehr zu vertrauen, die Beteiligten stärker einzubinden, mehr persönlicher Verantwortung zu übernehmen, Geldmittel direkt zu verteilen etc. So zieht er als Ökonom den Schluss, dass „verlogene Begriffe wie Qualitätskennzahlen oder Qualitätsindikatoren endgültig von der Bildfläche verschwinden sollen“ (S. 218), da Qualität grundsätzlich nicht messbar sei. Es bleibt allerdings die Frage, wie letztlich seine Aufrufe umgesetzt werden können, wenn die Kargheit der Mittel zu mehr ökono- mischem Handeln zwingt. Es fehlt vielleicht eine tiefer greifende Analyse der menschlichen Psyche und der Grundregeln des Zusammenlebens. Auf jeden Fall macht das Buch nachdenklich, obwohl oder gerade weil man viele Dinge schon ahnte, aber sich noch nicht erklären konnte. Es gibt genug Anlass zum Nachdenken, auch über das eigene Verhalten. Quelle: „Deutsche Lehrer im Ausland“, Heft 04/11
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