Siegfried
Trapp
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Ich hab jetzt erstmal die Brücken in Deutschland
abgebrochen: Das Haus, in dem ich die letzten 11 Jahre
gewohnt hatte, zum Teil mit beiden, zum Teil mit einem der
Söhne, komplett aufgegeben, den größten Teil des Hausrats,
der auf mehrere Stockwerke verteilt war und viele
Erinnerungen an die 17 Jahre in Südamerika birgt, auf
Wiedersehen oder Nimmerwiedersehen eingelagert.
Ein Jahr als Pensionär war: erfüllt von Freiheit, aber zu
wenig ausfüllend.
Die ersten fünf Monate in Mexiko City waren holprig.
Aus mehreren Gründen.
Die Alltagskleinlichkeiten, die ersten Wochen ohne
Fahrzeug: Es gibt keine Tiendas, kleine
Gemischtwarenläden, zum Einkaufen in der nahen
Umgebung von Haus oder Arbeitsstätte. Bis zur Bäckerei ist
es etwa einen Kilometer, zuerst bergab, dann reichlich
bergauf; bis zur Schule etwa 2 km, bergauf. Viel Fußweg,
oder Taxi. Aus Sicherheitsgründen soll man nur registrierte
Funktaxis nehmen, also keins an der Straße anhalten; das ist
hier komplett unüblich. Umständlich, insbesondere wenn
man sich weiter weg bewegen muss, und das muss man,
wenn man Möbel oder Elektrogeräte kaufen muss.
Und ein Bügelbrett passt schon mal nicht ins Taxi.
Da mein gemietetes Reihenhäuschen außer einem Gasherd, einem Campingtischchen und einem
wackligen Campingstuhl komplett leer war, und ich nur etwa 12 cbm Umzugsgut in einem
Container mitgebracht hatte, waren eine Reihe von Anschaffungen vonnöten.
Unter anderem eine Waschmaschine, Bauart: US-amerikanischer Bottich, habe die kleinst
erhältliche gekauft, und die fasst schlappe 12 kg Wäsche (die üblichen Waschmaschinen bei uns
fassen 7 kg).
Dann ein Kühlschrank, Typ US-amerikanischer Eisschrank; läuft fast immer, und bei der
niedrigsten eingestellten Temperatur kann man dann mit der Butter Nägel in die Wand schlagen
(hab aber inzwischen eine Lösung gefunden: Butter für 11 sec in die Mikrowelle).
Die Atmosphäre an der Schule ist etwas humorlos, ein Unterschied zu meinen Arbeitsstätten der
letzten 30 Jahre. Man kann auch mit Humor gute Arbeit machen.
Zur Begrüßung der neuen Lehrer gibt es nicht etwa freitags einen Abendempfang mit Cocktails,
wie es in Quito oder La Paz üblich war, sondern ein Frühstück am Samstag um 8 Uhr morgens, wo
man, um zum Veranstaltungsort (Schwesterschule in La Herradura) zu kommen, samstags um
halb sechs aufstehen muss.
Auch eine Willkommenskultur mit Einladungen wie in Südamerika existiert hier praktisch nicht,
kein Jour Fix in der Residenz des Botschafters, kein Tennis im Deutschen Club, kein Skat in der
Casa Humboldt, keine von der Asociación Humboldt organisierten Ausflüge. Trockenfutter.
Das deutsche Kollegium besteht, aus Kostengründen, aus einem hohen Anteil sehr junger
Lehrkräfte, die meist direkt nach dem Referendariat hierher gekommen sind, und denen
natürlicherweise viel Erfahrung in mannigfaltiger Hinsicht fehlt.
Das Jahr ist in unsinnige Bimester gegliedert, das heißt es gibt alle zwei Monate Zeugnisse, mit
entsprechenden permanenten schriftlichen Prüfungen und Notengebungen dazwischen.
Statt wie zuvor vereinbart 2/3 des Unterrichts in der Oberstufe und 1/3 in der Mittelstufe habe ich
es jetzt umgekehrt. Die Mittelstufe ist natürlich z.B. von den Korrekturen her weniger
zeitaufwändig, aber nervig im Unterricht. Mit relativ wenigen Deutschkenntnissen müssen z.B. 7.
und 8. Klassen eine Unmenge biologischer Fachbegriffe lernen.
Eine Quälerei für Schüler und Lehrer, so man inhaltlich vorankommen möchte. Auch
disziplinarisch lassen die Klassen zu wünschen übrig, auch wenn es aufgrund von mir getroffener
Maßnahmen (und selbstverständlich meiner natürlichen Autorität) allmählich deutlich besser
wurde.
Mittelstufe war aber noch nie mein Ding.
Alles Bio, keine Chemie. Bio-Mittelstufe unterrichte ich 8 Wochenstunden.
Bio-Mittelstufe hatte ich zuletzt vor 30 Jahren unterrichtet.
Vor allem in den ersten Wochen überwiegten die Frusttage, vor allem auf Grund der strukturellen
Probleme des Arbeitsumfelds.
Darüberhinaus haben sich die Richtlinien für das Abitur im Ausland in den letzten Jahren
zunehmend detalliert und bürokratisiert. Für jede Prüfung sind zig Formblätter auszufüllen, eine
Folge der Verjustierung der Schule durch das Rechtswesengeschäft und ein grundlegendes
Misstrauen den Lehrkräften gegenüber.
Vor der Übersiedlung hatte ich mir ja ein Leben gewünscht: durchaus mit Problemen, auch mit
lästigen, aber überschaubaren, und vor allem irgendwann lösbaren Problemen.
Auf der Vorteilsseite steht dagegen, dass keine Langeweile auftritt, dass ich jetzt mit dem Auto nur
etwa 5 Minuten bis zur Schule habe, dass mein Reihenhäuschen in einer ruhigen Sackgasse in
einer einigermaßen sicheren Kolonie mit Schlagbaum liegt, dass mein Unterrichtsbeginn sehr
angenehm ist, d.h. nicht vor 9 Uhr (die 1. Stunde beginnt hier um 7:10, Unterrichtsschluss ist
14:10), dass ich natürlich nur mit maximal halbem Deputat tätig bin, dass ich deshalb z.B.
montags frei habe, dass praktisch jeden Tag die Sonne scheint (im Sommer hat es tags 24 - 31 °C,
nachts 14 - 19 °C; im Winter tags meist über 21 °C, nachts aber empfindlich kühl mit 2 bis 10 °C,
und die Häuser haben wie in Quito und La Paz keine Heizungen und sind schlecht isoliert), und
dass ich seit Verlassen der Komfortzone im Juni des Jahres 2017 sechseinhalb Kilo abgenommen
habe.
Das letztere war aber auch nötig.
Vivir en Mexico