Siegfried
Trapp
Willkommen
Bienvenido
Welcome
© strapp 2022
Nehmen Sie Rücksicht!
„Layla“ sorgt für Aufregung – Die Debatte um das Lied legt gesellschaftliche
Zustände offen
Aalener Nachrichten, 19 Jul 2022
Von Jonas Voss
Eine Nacht in der Disko, im Festzelt. Junge, leicht bekleidete Menschen, viel Alkohol,
laute Musik, zu der sich Körper mehr oder weniger rhythmisch bewegen. Viele dürften
sich an solche Abende erinnern. Oder auch nicht. Es gibt Orte, an denen diese spezielle
Rauschkultur geradezu zelebriert wird: Ischgl für Skiurlauber, Lloret de Mar – nördlich
von Barcelona – für Schulabgänger und El Arenal auf Mallorca für alle. Immerhin ist der
„Ballermann“mit seinen Schlagerstars und -sternchen seit Jahrzehnten eine Institution
im Feierkalender.
Womit man beim aktuell bekanntesten Ballermann-Hit wäre. „Layla“ von DJ Robin und
Schürze ist nicht nur auf Platz 1 der deutschen Charts gelandet und seit Wochen die
Schlagerhymne des Sommers. Um den Titel mit einigen fragwürdigen Zeilen („Er hat
'nen Puff und seine Puffmama heißt Layla, Sie ist schöner, jünger, geiler“; „Die schöne
Layla, die geile Layla, Das Luder Layla, unsre Layla“) und künstlerischem Mehrwert am
Nullpunkt ist eine bundesweite Debatte entbrannt.
Volksfestveranstalter, Oktoberfest-Wirte oder der ZDF-Fernsehgarten wollen mit
Verweis auf die frauenverachtende Botschaft das Lied in dieser Variante nicht spielen.
Dieser Versuch, jemanden der sich abseits erwarteter Konventionen bewegt, mundtot zu
machen, ist nur folgerichtig in einer Öffentlichkeit, die vor lauter Angst, Gefühle zu
verletzen, verstummt. Statt Diskurs herrscht immer öfter Schweigen.
Das alles hat seine Wurzeln im anglo-sächsischen Raum. Die dort seit den 1980er-
Jahren zunehmend stärker werdende Denkschule des Postkolonialismus gewinnt auch
hierzulande an Einfluss in den Universitäten, Parteien oder Denkfabriken. Anhänger
postkolonialer Theorien zeichnen die Welt schwarz-weiß und denken in eng gefassten
Kategorien. Schuld an den meisten sozialen Verwerfungen hat der weiße Mann, jede
tatsächliche oder eingebildete Minderheit ist aufgrund ihrer Unterdrückungsgeschichte
erst einmal im Recht. Wer Widerspruch wagt, wird „gecancelt“, zum Schweigen
gebracht. Vertreter solcher Theorien ziehen immer schärfere Trennlinien zwischen dem,
was erwünschtes Sprechen ist und was nicht.
So hat die Bayreuther Professorin Susan Arndt in diesem Jahr „Rassistisches Erbe. Wie
wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen“ veröffentlicht. Ein
Buch über, zumindest aus Arndts Perspektive, rassistische Wörter, die sie gerne aus dem
Wortschatz gestrichen sehen würde. Darunter „Abendland/ Morgenland“,
„Dreieckshandel“, „Dschungel“ oder „Tropen“.
Wortreich erklärt sie historische Hintergründe der Begriffe, wobei sie etwa beim
Sklavenhandel – ein weiterer Begriff, den sie verbannen möchte – geflissentlich darüber
hinwegsieht, dass dieser erstens schon vor der Ankunft der Europäer auf dem
afrikanischen Kontinent stattfand und zweitens jahrhundertelang ohne die Partizipation
afrikanischer Eliten in dieser Größenordnung überhaupt nicht möglich gewesen wäre.
„Weißsein“ ist für Arndt eine Machtposition und grundsätzlich mit Privilegien
verbunden. Die Professorin konstruiert ein binäres Weltbild. Sie selbst schreibt, es gehe
ihr um einen „längst überfälligen Perspektivwechsel“.
Was das alles nun mit „Layla“ zu tun hat? Wenn Bestrebungen elitärer
Hochschulprofessoren und einflussreicher öffentlicher Stimmen bereits dazu führen,
dass Wiesn-Wirte – die am schamlosen bis schwachsinnigen Exzess durchaus gut
verdienen – Hits verbieten, weil sie Zeilen als übergriffig empfinden oder
Skandalisierung fürchten, welche Räume bleiben der diskursiven Grenzüberschreitung
bald? Aus dieser entstehen doch erst originelle Gedanken.
Jemand, der schon lange vor diesen Entwicklungen warnt, ist der Philosoph und
Universitätsprofessor Robert Pfaller. Der Österreicher kritisiert in seinem Werk
„Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“ die zunehmende
Infantilisierung der Öffentlichkeit. Darunter versteht er das Aufstellen immer mehr Ge-
und Verbote, was unseren Sprachgebrauch angeht und die Öffnung des öffentlichen
Raumes für private Befindlichkeiten. Letztlich die „dogmatische Beendigung jeglichen
Diskurses im Vorhinein durch eine ins Extreme gesteigerte Auffassung von politischer
Korrektheit.
Indem die „neoliberale Politik an die Schwäche und Empfindlichkeit der Bevölkerung
appelliert, zerstört sie die Selbstwahrnehmung der Menschen als mündige Bürgerinnen
und Bürger“. Auf „Layla“ gemünzt: Anstatt dass man die Aufregung um dieses
unterkomplexe Lied dazu nützt, um die seit Langem stille Debatte um die komplexe
Problematik der Prostitution ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, verharrt man in den
Grabenkämpfen eingebildeter Gefühlsverletzungen.
Und auch sonst verpasst die Erregung um „Layla“ Chancen. Pfaller warnt in anderen
Werken vor der „Maßlosigkeit im Mäßigen“, dem Verlust von Kulturtechniken in einer
Ära der Askese. Man müsste diskutieren, was exzessive Erlebnisse im Miteinander in
diesen Corona- und Kriegsjahren für eine gesellschaftliche Relevanz haben. Das lässt
sich nicht nur auf Alkohol münzen, sondern etwa auch auf Konfrontation mit abseitigem
Humor. Stattdessen zeigt sich die von Pfaller prognostizierte Erschlaffung der Debatte,
die sich ausbreitende geistige und politische Ödnis. Wer partout vermeiden will, Anstoß
zu erregen, der stößt auch keine neuen Gedanken an.
Quelle: https://www.pressreader.com/germany/aalener-nachrichten/20220719/281990381251512
© strapp 2022