So rührend wie die "Zauberflöte"
Von Martin Arnold
Kein Lied dürfte in der ganzen Welt so populär sein wie der gefühlvolle Evergreen "La Paloma".
Es wird auf Hawaii ebenso für ein einheimisches Volkslied gehalten, wie in Deutschland, auf Sansibar oder
auf den Philippinen.
Der Klangkünstler Kalle Laar aus München kennt rund 2000 Fassungen. Er schätzt jedoch, dass es noch
einmal so viele Einspielungen gibt. Damit ist "La Paloma" das weltweit am meisten interpretierte Lied. Der
junge Bing Crosby hat es ebenso gesungen wie Elvis Presley, Ricky Shane, Elvis Costello, der Tex-Mex-
Akkordeonist Flaco Jimenez, oder auch der deutsche Blödelstar Otto und die von allen europäischen
Schlagerfreunden so geschätzte Mireille Mathieu.
Die wahrscheinlich erste Platte dieses Liedes wurde 1898 veröffentlicht. Im wohl berühmtesten Hörspiel
aller Zeiten, "War of the Worlds" von Orson Welles (nach H. G. Wells), welches auf realistische Weise die
Landung einiger Raumschiffe vom Mars im Radio zu Gehör brachte und 1938 die ganze USA in helle
Aufregung versetzte, spielte die Melodie ebenfalls eine Rolle. Das Hörspiel begann betont harmlos mit
Tanzmusik. Gespielt wurde "La Paloma". Die Taube wurde auch in unzähligen Filmen als dramatisches
Element eingesetzt. "La Paloma" klingt aus Spieldosen, aus uhrwerkbetriebenen Laufwerken, aus
Drehorgeln, Karussellen und aus dem Bahnhofslautsprecher einer mandschurischen Stadt im tiefsten China.
Als ich Havanna verließ, oh mein Gott,
sah keiner mich weggehen außer mir,
Und eine schöne Guachinanga, Herrgott,
kam hinter mir her, so war es, mein Herr.
Auch wenn das Lied bald 150 Jahre alt ist, lässt sich sein Anfang rekonstruieren. Die Melodie ist aus einem
baskischen Volkslied entstanden und wurde vom baskischen Komponisten Sebastián Iradier, einem
Frauenhelden und Dandy, wahrscheinlich auf einer Reise in Kuba oder Mexiko geschrieben. Der Ausdruck
"Guachinanga", der im Lied vorkommt, steht jedenfalls für eine Mexikanerin. In einer späteren Strophe
nennt Iradier diese Frau, in die er offensichtlich verliebt war, Chinita. Das ist die Verniedlichung für eine
Chinesin oder aber für eine mexikanische Einwanderin in Kuba. Die Einwohner Havannas nannten die
Mexikaner damals despektierlich "Chinesen".
Für Kuba spricht auch der Rhythmus des Liedes, der im 2/4-Takt gespielt wird, wobei der erste
Viertelschlag hervorgehoben wird. Die Habanera, ein langsamer, mit dem Tango verwandter Tanz, stammt
nämlich aus Havanna. Die Autoren des Buches "La Paloma", das im Marebuchverlag erschienen ist, haben
auf ihren Recherchen im baskischen Vitoria, wo die Originalkomposition aufbewahrt wird, eine
überraschende Entdeckung gemacht. Das Originallied war länger und komplexer. Später wurde einfach eine
ganze Passage weggelassen.
Wenn an dein Fenster eine Taube kommt,
so behandle sie zärtlich, denn das bin ich.
Erzähl ihr von deinen Lieben, mein Schatz,
schmücke sie mit Blumen, so wie es mir gefällt.
Mit "La Paloma" sind unzählige faszinierende Geschichten verknüpft. Besonderes tragisch ist jene von
Maximilian von Habsburg, dem kurzzeitigen Kaiser von Mexiko und seiner Frau Charlotte von Belgien.
Weil Maximilian seinem Bruder, Kaiser Franz Joseph, zu liberal schien und deshalb im Hause Habsburg
aneckte, nahm er das Angebot des französischen Kaisers Napoleon III. dankbar an, als Kaiser nach Mexiko
zu gehen. Trotz vieler warnender Stimmen emigrierten er und seine Frau in das unruhige
mittelamerikanische Land.
Maximilian interessierte sich schon bald mehr für Wissenschaft, Kultur und schöne junge Mexikanerinnen
als für die zerrütteten Staatsfinanzen. Er übertrug die Leitung des kaiserlichen Theaters dem Spanier José
Zorilla, einem Freund des baskischen Komponisten Sebastián Iradier. Am gleichen Theater ist die
siebzehnjährige Concha Méndez engagiert, die das Kaiserpaar mit ihrem Gesang so sehr begeistert, dass sie
regelmäßig am Hofe zu Gast ist. Bei einem dieser Besuche hat sie den Monarchen die Habanera von der
Taube zu Gehör gebracht, die sie von Zorilla kennen gelernt hatte. Das Monarchenpaar war hingerissen. Als
Aufständische die Macht übernahmen, verurteilten sie Maximilian und dessen Frau zum Tod. Bis heute hält
sich das Gerücht, dass Maximilian vor seiner Erschießung noch einmal sein Lieblingslied hören wollte.
Auch bei der Rückführung des Sarges nach Europa soll "La Paloma" gespielt worden sein.
Seither ist es auf Schiffen der österreichischen Marine verboten, dieses Lied zu singen oder zu spielen.
Daran hält man sich anscheinend auch in Seglerkreisen. Später wurde das Schicksal Maximilians in
unzähligen Büchern, Theaterstücken und Filmen verarbeitet. Und immer spielte "La Paloma" eine
bedeutende Rolle. Deshalb vermuten nicht wenige in "La Paloma" ein mexikanisches Volkslied. Es ist dort
tief verwurzelt und wird auch heute noch mit politischen Texten versehen.
Ach, Kleine, ach gib mir deine Liebe,
ach komm mit, meine Kleine, dorthin, wo ich lebe.
Auch für den Jazz-Gitarristen Coco Schumann hatte das Lied einen traurigen Hintergrund. Er spielte es, als
in Auschwitz die Kinder in die Gaskammern geführt wurden. Ob es sie tröstete, bleibt offen.
Für die Autorin Sigrid Faltin ist die Verbreitung des Liedes keine Überraschung. "Es wird oft in Momenten
gespielt, die für die Menschen Veränderungen in ihrem Leben bedeuten. Beispielsweise bei Hochzeiten,
beim Abschied oder bei Beerdigungen, wo es in vielen Ländern gespielt wird."
Der Tag, an dem wir heiraten, mein Gott, in der Woche,
wenn wir gehen müssen, wie werden wir lachen!
Wir verlassen gemeinsam die Kirche, jawohl,
und dann werden wir schlafen, Herrgott.
Nur wenige Lieder haben in allen Kulturen eine vergleichbare Popularität erreicht. Und dies mit einer
Melodie, die praktisch nur in zwei Akkorden gespielt wird. Sigrid Faltin hat einen Film über das Lied
gedreht und dabei viel Gelegenheit gehabt, über die Taube nachzudenken. Sie sagt: "La Paloma besitzt ein
ganz besonderes Geheimnis, das niemand gelüftet hat. Das Lied spricht in der Seele etwas an, das allen
Menschen und allen Kulturen innewohnt." Im "Mare"-Buch "La Paloma" schreibt der Musiker Klaus
Doldinger: "Am allerschwierigsten ist es, einfache Musik zu komponieren. La Paloma geht einem ans Herz
wie die Zauberflöte."
Originalversion
Text: Sebastian Iradier
La Paloma
Cuando salí de la Habana,
válgame Dios,
nadie me ha visto salir,
si no fui yo.
y una linda guachinanga,
allá voy yo,
que se vino tras de mí,
que sí señor.
Si a tu ventana llega
una paloma,
trátala con cariño
que es mi persona.
Cuéntale tus amores,
bien de mi vida,
corónala de flores,
que es cosa mía.
Ay chinita que sí,
ay que dame tu amor,
ay que vente conmigo,
chinita,
a donde vivo yo.
El dia nos casemos
¡Valgame Dios!
En la semana que hay ir
Me hace reir
Desde la Yglesia juntitos,
Que sí señor,
Nos hiremos à dormir,
Allá voy yo.
(Refrain)
Cuando el curita nos seche
La bendición
En la Yglesia Catedral
Allá voy yo
Yo te daré la manita
Con mucho amor
Y el cura dos hisopazos
Que sí señor
(Refrain)
Cuando haya pasado tiempo
¡Valgame Dios!
De que estemos casaditos
Pues sí señor,
Lo menos tendremos siete
Y que furor!
O quince guachinanguitos
Allá voy yo.
Deutsche Übersetzung
Als ich Havanna verließ,
oh mein Gott,
sah keiner mich weggehen
außer mir.
Und eine schöne Guachinanga,
Herrgott,
kam hinter mir her,
so war es, mein Herr.
Wenn an Dein Fenster
eine Taube kommt,
so behandle sie zärtlich,
denn das bin ich.
Erzähl ihr von Deinen Lieben,
mein Schatz,
schmücke sie mit Blumen,
so wie es mir gefällt.
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