Jehova, Allah, Shiva... Die Menschen der unterschiedlichen Regionen
der Erde haben im Laufe der Geschichte viele verschiedene
Religionen und Vorstellungen von Gottheiten hervorgebracht. Ein
internationales Forscherteam hat diese Glaubensrichtungen nun
einer analytischen Betrachtung unterzogen - sie wollten
herausfinden, welche Faktoren ihren Charakter prägten. Dabei
kristallisierte sich ein interessanter Aspekt heraus: Gesellschaften,
die sich in harten Lebensräumen entwickelt haben, glauben häufig an
moralisierende Gottheiten.
Er hat alles erschaffen, beherrscht das Geschehen auf der Erde und die Schicksale
der Menschen. Sie müssen wiederum seine klaren Regeln befolgen, andernfalls
hat das negative Konsequenzen. Diese Beschreibung charakterisiert einen
moralisierenden, erhabenen Gott. Die Vorstellungen einiger Religionen, darunter
des Islam, des Judentums und des Christentums entsprechen mehr oder weniger
diesem Bild. In anderen Religionen glauben die Menschen hingegen nicht an
erhabene Moral-Wesen, sondern beispielsweise an Geister, welche die Natur
„beseelen", oder ihr Glaube basiert auf dem Bestreben nach innerer Erleuchtung
anstatt der Anbetung von Göttern.
Um den Entwicklungsgrundlagen der Religionen nachzugehen haben die
Forscher um Russell Gray von der University of Auckland die Weltanschauungen
von 583 Gesellschaften aus allen Regionen der Erde untersucht und sie mit den
historischen, sozialen und ökologischen Faktoren der entsprechenden Kulturen
abgeglichen. Durch statistische Methoden entwickelten die Forscher ein Modell,
aus dem hervorgeht, welche Faktoren im Zusammenhang mit den
Charakteristika der jeweiligen Religionen stehen.
Die Auswertungen der Forscher verdeutlichten einen Faktor, der offenbar eine
wichtige Rolle gespielt hat: Gesellschaften, die sich in Umwelten entwickelt
haben, in denen Nahrung und Wasser knapp sind, glauben eher an
moralisierende Gottheiten. "Wenn das Leben besonders hart oder unsicher ist,
glauben die Menschen an ausgesprochen große Götter", bringt Gray das Ergebnis
auf den Punkt. Möglicherweise bot dieser Glaube für die betreffenden
Gemeinschaften Vorteile, sagen die Forscher. Es ist bereits aus anderen Studien
bekannt, dass religiöse Vorstellungen mit starken moralischen Regeln
kooperatives Verhalten fördern. Dies erscheint unter schwierigen
Lebensbedingungen natürlich besonders vorteilhaft.
Den Forschern zufolge gibt es noch weitere Faktoren, die für Gesellschaften
charakteristisch sind, die Religionen mit erhabenen Gottheiten entwickelt haben:
Es handelt sich um Kulturen mit ausgeprägten politischen Strukturen, die über
regionale Gemeinschaften hinausgehen. Eine typisches Merkmal dieser
Gesellschaften sei beispielsweise auch die organisierte Viehhaltung, sagen die
Forscher.
Unter Einbeziehung aller anderen Faktoren und der besagten ökologischen
Faktoren erreicht das Modellsystem der Forscher eine 91-prozentige Genauigkeit
bei der Vorhersage, inwieweit die Gottheiten von Menschen einer bestimmten
Region moralisierende Charakteristika aufweisen. "Das Gesamtbild ist, dass der
Glaube letztlich durch eine Kombination von historischen, ökologischen und
sozialen Faktoren geprägt ist", resümiert Co-Autor Carlos Botero von der North
Carolina State University in Raleigh. Das Team will nun an dem
Forschungsthema dran bleiben und weiter ins Detail gehen: Die Forscher planen
Prozesse zu erforschen, die beispielsweise zur Entwicklung von Tabus,
Beschneidungs-Praktiken oder zu anderen kulturellen Merkmalen von
Gesellschaften geführt haben.
Originalarbeit der Forscher: PNAS, doi: doi/10.1073/pnas.1408701111
© wissenschaft.de - Martin Vieweg
10.11.2014
Siegfried
Trapp
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Diese Abbildung zeigt die Verteilung von Gesellschaften, die an
moralisierende Götter glauben (blau) und solche, die das nicht tun
(rot).
Credit: Carlos Botero