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Siegfried Trapp
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Demokratie in der Krise: Die Monster kommen Bitte geben Sie Ihre Stimme ab und stellen Sie das Denken ein - die Menschen lassen sich behandeln wie törichte Kinder. Aber wenn die Vernunft schläft, sind es die Prediger der Gewalt, die den größten Zulauf haben. Eine Kolumne von Jakob Augstein Neulich hat Martin Schulz auf dem SPD-Parteitag gesagt, er wolle ein "föderales Europa" bis 2025 - und wer nicht mitmacht, solle dann bitte gehen. Das hat die Leute schockiert. Weil sie solche Worte von ihren Politikern gar nicht mehr gewohnt sind, wussten sie nicht, wovon der Mann sprach. Also, zur Erklärung: Was Schulz da vorgetragen hat, nennt man eine Vision. Das gab es früher in der Politik häufiger. Spätestens seit Angela Merkel sind Visionen in Deutschland weitgehend unbekannt. Merkel hat auch gleich auf Schulz reagiert und gesagt, eine solche "Zieldefinition" stehe für sie nicht im Vordergrund. Da waren die Leute erleichtert und sind beruhigt wieder eingeschlafen. Die Leute haben eben keine Lust, nach vorne zu gucken. Und sie wählen Politiker, die ihnen das erlauben. Das letzte Mal, dass das Kommende einfach ignoriert wurde, hat es die Gesellschaft glatt zerrissen: Das war nämlich die Migrationskrise. Die hatte sich zwar jahrelang angekündigt, aber in der Zeit, in der sie noch hätte agieren können statt nur zu reagieren, zog die Kanzlerin es vor, keine "Ziel- definition" zu entwickeln. Der Rest ist bekannt. Nun gehören sich Beschimpfungen des Volks eigentlich nicht - weil wir ja nur das eine haben. Aber wer bewusst auf die Vernunft verzichtet, den darf man ruhig dumm nennen. Es gehört zum westlichen Selbstverständnis, der Born von Aufklärung und Vernunft zu sein. Aber wenn Kants Satz wirklich der Maßstab wäre - "Die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung" - dann müsste man feststellen: Bei uns gehen langsam die Lichter aus. Wer denkt schon selbst? Wir lassen denken. Schlimmer: Wir holen uns die Genehmigung ab, das Denken einzustellen. Anders sind die Aberrationen der jüngeren Vergangenheit ja gar nicht zu erklären: Brexit. Front National. AfD. EU-Krise. Internethass. Oxfam sagt, dass acht Menschen mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Menschheit. Wir stellen uns Demokratie ja gerne als Verwirklichung von Liberalität und Pluralismus vor. Aber in den vergangenen zwei Jahren haben wir im Westen erlebt, wie die Demokratie zur Diktatur der Mehrheit verkommen kann. Wahlen sind ein primitives Instrument  Wenn man die Menschen fragt, was das Wesen der Demokratie sei, wird die erste Antwort sein: freie Wahlen. Aber das ist ein Irrtum. Wahlen sind ein primitives Instrument. Sie versagen, wenn es darum geht, das Wesen der Demokratie zu schützen. Und sie versagen, wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu etablieren. Auch Wahlen in einer entwickelten Demokratie wie Deutschland haben nichts daran geändert, dass der neoliberale Kapitalismus das Land wieder so ungleich werden ließ wie vor hundert Jahren. Zu dem Schluss kommt eine Forschergruppe rund um den Autor Thomas Piketty. Vermutlich beurteilen wir den Grad der Freiheit einer Gesellschaft nach den falschen Kriterien. Wahlen, Presse, Gerichte - natürlich ist das wichtig. Aber wir stimmen nicht darüber ab, wer was besitzt, oder darüber, wie es in den Betrieben zugeht. Und obwohl Arbeitswirklichkeit und Eigentumsverhältnisse für das Leben der Menschen nicht minder bedeutsam sind als unabhängige Medien oder ein faires Gerichtsverfahren, entziehen wir sie der Sphäre des Politischen und verschieben sie in die Sphäre des Privaten. Gabriels kluger Essay  Allen Dingen wohnt die Eigenschaft des Zerfalls inne. Was nicht geordnet wird, gerät in Unordnung. Auch die Gesellschaften. Und da eine selbst auferlegte Regel die Politik in den letzten 30 Jahren dazu bewegt hat, immer weniger für Ordnung zu sorgen, hat die Unordnung tatsächlich zugenommen. Sigmar Gabriel hat dazu gerade einen Essay im SPIEGEL geschrieben. Ein sehr kluger Text über die Versäumnisse der Sozialdemokratie, die sich viel zu leicht- fertig einem postmodern-neoliberalen "Anything goes" verschrieben hat, anstatt auf die Bedürfnisse ihrer (früheren) Wähler zu achten. Unwillkürlich denkt man: Die SPD bräuchte unbedingt einen Vorsitzenden wie Sigmar Gabriel. Und dann erinnert man sich: Er war es ja mehr als sieben Jahre lang. Aber egal - Gabriel hat recht: Es gibt tatsächlich ein Unbehagen in unserer Kultur. Aber nicht, weil sie, wie Freud gesagt hat, unserer Selbstverwirklichung so viele Fesseln anlegt, sondern eher im Gegenteil, weil sie gegen die entfesselten Kräfte des destruktiven Kapitalismus so machtlos ist. Aber wenn dann Martin Schulz vorschlägt, die Gesellschaften in die Lage zu versetzen, sich wirksamer gegen diese Kräfte zu wehren - dann reagieren die Leute darauf wie törichte Kinder. Es ist die Vernunft, die sich zurückzieht und es sind die die Prediger der Gewalt, die den größten Zulauf haben. Sie achten nicht das Recht - und wenn, dann nur das des Stärkeren. Putin annektiert die Krim, die Chinesen bauen ihre Stellungen im Süd- chinesischen Meer aus, Trump erkennt Jerusalem als Hauptstadt Israels an - das Völkerrecht gerät zum Trümmerhaufen. Die große Zeit der Zusammenarbeit zwischen den Staaten ist vorüber. Die Europäische Union würde heute nicht mehr gegründet werden. Der Euro auch nicht. Die Symptome der Dezivilisierung unserer Gesellschaft sind nicht zu übersehen. Es liegt so vieles im Argen und die Leute spüren, dass wir in einer Zeit des Übergangs leben. Wir sind schlecht vorbereitet. Wir ahnen, dass wir handeln müssen - aber wir wissen nicht, wie. Wir erleben, was Antonio Gramsci meinte, als er die Epoche, die nach dem Ersten Weltkrieg begann, so beschrieb: "Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster." Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/demokratie-in-der-krise-der-schlaf-der-vernunft- kolumne-a-1183848.html
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Demokratie in der Krise: Die Monster kommen Bitte geben Sie Ihre Stimme ab und stellen Sie das Denken ein - die Menschen lassen sich behandeln wie törichte Kinder. Aber wenn die Vernunft schläft, sind es die Prediger der Gewalt, die den größten Zulauf haben. Eine Kolumne von Jakob Augstein Neulich hat Martin Schulz auf dem SPD- Parteitag gesagt, er wolle ein "föderales Europa" bis 2025 - und wer nicht mitmacht, solle dann bitte gehen. Das hat die Leute schockiert. Weil sie solche Worte von ihren Politikern gar nicht mehr gewohnt sind, wussten sie nicht, wovon der Mann sprach. Also, zur Erklärung: Was Schulz da vorgetragen hat, nennt man eine Vision. Das gab es früher in der Politik häufiger. Spätestens seit Angela Merkel sind Visionen in Deutschland weitgehend unbekannt. Merkel hat auch gleich auf Schulz reagiert und gesagt, eine solche "Zieldefinition" stehe für sie nicht im Vordergrund. Da waren die Leute erleichtert und sind beruhigt wieder eingeschlafen. Die Leute haben eben keine Lust, nach vorne zu gucken. Und sie wählen Politiker, die ihnen das erlauben. Das letzte Mal, dass das Kommende einfach ignoriert wurde, hat es die Gesellschaft glatt zerrissen: Das war nämlich die Migrationskrise. Die hatte sich zwar jahrelang angekündigt, aber in der Zeit, in der sie noch hätte agieren können statt nur zu reagieren, zog die Kanzlerin es vor, keine "Ziel-definition" zu entwickeln. Der Rest ist bekannt. Nun gehören sich Beschimpfungen des Volks eigentlich nicht - weil wir ja nur das eine haben. Aber wer bewusst auf die Vernunft verzichtet, den darf man ruhig dumm nennen. Es gehört zum westlichen Selbstverständnis, der Born von Aufklärung und Vernunft zu sein. Aber wenn Kants Satz wirklich der Maßstab wäre - "Die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung" - dann müsste man feststellen: Bei uns gehen langsam die Lichter aus. Wer denkt schon selbst? Wir lassen denken. Schlimmer: Wir holen uns die Genehmigung ab, das Denken einzustellen. Anders sind die Aberrationen der jüngeren Vergangenheit ja gar nicht zu erklären: Brexit. Front National. AfD. EU-Krise. Internethass. Oxfam sagt, dass acht Menschen mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Menschheit. Wir stellen uns Demokratie ja gerne als Verwirklichung von Liberalität und Pluralismus vor. Aber in den vergangenen zwei Jahren haben wir im Westen erlebt, wie die Demokratie zur Diktatur der Mehrheit verkommen kann. Wahlen sind ein primitives Instrument  Wenn man die Menschen fragt, was das Wesen der Demokratie sei, wird die erste Antwort sein: freie Wahlen. Aber das ist ein Irrtum. Wahlen sind ein primitives Instrument. Sie versagen, wenn es darum geht, das Wesen der Demokratie zu schützen. Und sie versagen, wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu etablieren. Auch Wahlen in einer entwickelten Demokratie wie Deutschland haben nichts daran geändert, dass der neoliberale Kapitalismus das Land wieder so ungleich werden ließ wie vor hundert Jahren. Zu dem Schluss kommt eine Forschergruppe rund um den Autor Thomas Piketty. Vermutlich beurteilen wir den Grad der Freiheit einer Gesellschaft nach den falschen Kriterien. Wahlen, Presse, Gerichte - natürlich ist das wichtig. Aber wir stimmen nicht darüber ab, wer was besitzt, oder darüber, wie es in den Betrieben zugeht. Und obwohl Arbeitswirklichkeit und Eigentumsverhältnisse für das Leben der Menschen nicht minder bedeutsam sind als unabhängige Medien oder ein faires Gerichtsverfahren, entziehen wir sie der Sphäre des Politischen und verschieben sie in die Sphäre des Privaten. Gabriels kluger Essay  Allen Dingen wohnt die Eigenschaft des Zerfalls inne. Was nicht geordnet wird, gerät in Unordnung. Auch die Gesellschaften. Und da eine selbst auferlegte Regel die Politik in den letzten 30 Jahren dazu bewegt hat, immer weniger für Ordnung zu sorgen, hat die Unordnung tatsächlich zugenommen. Sigmar Gabriel hat dazu gerade einen Essay im SPIEGEL geschrieben. Ein sehr kluger Text über die Versäumnisse der Sozialdemokratie, die sich viel zu leicht- fertig einem postmodern-neoliberalen "Anything goes" verschrieben hat, anstatt auf die Bedürfnisse ihrer (früheren) Wähler zu achten. Unwillkürlich denkt man: Die SPD bräuchte unbedingt einen Vorsitzenden wie Sigmar Gabriel. Und dann erinnert man sich: Er war es ja mehr als sieben Jahre lang. Aber egal - Gabriel hat recht: Es gibt tatsächlich ein Unbehagen in unserer Kultur. Aber nicht, weil sie, wie Freud  gesagt hat, unserer Selbstverwirklichung so viele Fesseln anlegt, sondern eher im Gegenteil, weil sie gegen die entfesselten Kräfte des destruktiven Kapitalismus so machtlos ist. Aber wenn dann Martin Schulz vorschlägt, die Gesellschaften in die Lage zu versetzen, sich wirksamer gegen diese Kräfte zu wehren - dann reagieren die Leute darauf wie törichte Kinder. Es ist die Vernunft, die sich zurückzieht und es sind die die Prediger der Gewalt, die den größten Zulauf haben. Sie achten nicht das Recht - und wenn, dann nur das des Stärkeren. Putin annektiert die Krim, die Chinesen bauen ihre Stellungen im Süd-chinesischen Meer aus, Trump erkennt Jerusalem als Hauptstadt Israels an - das Völkerrecht gerät zum Trümmerhaufen. Die große Zeit der Zusammenarbeit zwischen den Staaten ist vorüber. Die Europäische Union würde heute nicht mehr gegründet werden. Der Euro auch nicht. Die Symptome der Dezivilisierung unserer Gesellschaft sind nicht zu übersehen. Es liegt so vieles im Argen und die Leute spüren, dass wir in einer Zeit des Übergangs leben. Wir sind schlecht vorbereitet. Wir ahnen, dass wir handeln müssen - aber wir wissen nicht, wie. Wir erleben, was Antonio Gramsci meinte, als er die Epoche, die nach dem Ersten Weltkrieg begann, so beschrieb: "Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster." Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/de mokratie-in-der-krise-der-schlaf-der-vernunft- kolumne-a-1183848.html