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Die Geschichte des SUV
Design und Darwinismus
Von Arno Frank
Das erste „Sports Utility Vehicle“
In einem Prospekt des Jeep Cherokee von 1974 taucht erstmals der Begriff „Sports Utility
Vehicle“ auf. Das SUV kommt zu seinem Namen.
Wirklich interessant wird es unterdessen in England. Dort produzierte der Hersteller Rover
seit 1948 ein uriges Gerät namens Land Rover, mit dem Lord Ibblewith bequem die Grenzen
seiner Zuckerrohrplantagen in Rhodesien oder auf Jamaika abfahren konnte, ohne nasse
Füße zu bekommen. In Ermangelung eines Empires entwickelte Rover dann 1970 den
Range Rover – als bürgerliche Variante des Kolonialvehikels. Vermarktet wurde der Range
Rover als Zugpferd für Pferdetransporter und als Gefährt für Jagd, Fischerei und Ausflüge
nach Balmoral Castle.
In Deutschland war es das G-Modell von Mercedes-Benz, ein kantiger Unimog für
Waldbesitzer mit einem „von“ im Namen und genug Geld auf dem Konto.
Automobiler Botschafter einer Upper Class
Der Range Rover sollte zwar auch Steinschlag aushalten, Baumstämme über- und
Schafherden durchqueren können. Vor allem aber sollte er in London eine gute Figur
machen, quasi als automobiler Botschafter einer „upper class“, die eigentlich auf dem Land
zu Hause ist – sonst würde sie Jaguar oder Bentley fahren, wouldn’t they? Ein Fahrzeug für
die „Gentry“ also, den Adel. Hier, nicht in den USA oder Japan, liegt der Keim für die
Gentrifizierung des Fahrens in den neoliberalen achtziger Jahren, der Ära von Margaret
Thatcher. Der sicherste Weg, im Verkehr nicht einem SUV zum Opfer zu fallen, ist die
Anschaffung eines SUV.
Ein rollender Bunker
Das SUV ist keine Kirche, es ist ein Bunker. Es ist kein U-Boot, es ist ein Panzerkreuzer. Und
doch ist es eine Schöpfung unserer Ära. Was mehr über die Ära als über das SUV sagt.
Zur Landplage in Deutschland wurden die SUVs erst mit einer Verspätung von einem
Vierteljahrhundert. Zunächst mussten der Toyota RAV4 und der Kia Sportage den Boden
bereiten. Doch erst der Einstieg und Erfolg der großen deutschen Hersteller bewirkte deren
kaninchenhafte Vermehrung – der Marktanteil der SUVs liegt gegenwärtig bei knapp 30
Prozent, es ist also fast jedes dritte Auto auf deutschen Straßen ein „straßengängiger
Geländewagen“ oder „geländegängiger Straßenwagen“.
Dabei ist das SUV kein agrikulturelles Spezialprodukt, das sich in die Städte verirrt hat und
daher aus ihnen verbannt werden müsste. Es ist für die Stadt gebaut, die Stadt und die
Autobahn. Seine Herkunft aus dem Ruralen hat es höchstens in seinem Spitznamen
bewahrt, „Chelsea Tractor“ in England oder, präziser, „Börsentraktor“ in Norwegen.
Mit einem Range Rover und seinem eher funktionalen Design haben ein Audi Q8, ein
Porsche Cayenne, ein VW Touareg oder ein Volvo XC90 nicht mehr viel gemein. Der Audi ist
ein hochgelegter A8, desgleichen der Cayenne ein Panamera auf Stelzen, desgleichen der
Touareg ein hoher Passat und der XC 90 im Grunde ein aufgebockter V90. Denkt man sich
den unteren Teil weg, kommt wieder die handelsübliche Limousine zum Vorschein. Alles
Rustikale, was noch den Cherokee oder Land Rover umwehte, ist zugunsten distinguierter
Urbanität einkassiert.
Es geht ums Urbane
Und um das Urbane geht es. Deshalb konnte sich der Hummer aus dem Hause General
Motors, ursprünglich ein Fahrzeug für die leichte Infanterie der US-Armee, in der zivilen
Welt auch nie richtig durchsetzen. Er war nicht fein genug, ein Auto mit posttraumatischer
Belastungsstörung.
Es genügen der imposante Anschein und die schiere Macht des Faktischen, die sich schon in
den mächtigen Spezifikationen ausdrückt – auch wenn moderne SUVs kaum noch über den
Vierradantrieb verfügen, den es braucht, um auch nur den brandenburgischen Sand zu
bewältigen. Geblieben ist die Behauptung einer Wildnis mit ihren Gefahren, die irgendwo
noch lauern muss, die der Besitzer symbolisch überwunden hat und nun in der Stadt
spazieren führt. Design und Darwinismus.
Der X7
Steigen wir ein in den X7, das Spitzenmodell von BMW, ein Siebener auf Steroiden, wiegt
zweieinhalb Tonnen, ist mit zwei Metern exakt so breit wie eine normale Spur an Baustellen
auf der Autobahn und verbraucht mit seinem 400-PS-Quadturbo-Diesel bis zu 14 Liter in
der Stadt – was als „sparsam“ gilt. Seine Motorhaube überragt das Dach eines Kleinwagens.
Schon fordert der ADAC, die Durchfahrten an Baustellen den breiteren Autos anzupassen.
Ähnliches gilt für Parkhäuser, die für das Große Anschwellen nicht gebaut sind.
„Die Wucht überfällt den SUV unmittelbar, dazu ein fein komponierter Klang aus flächigen
Bässen mit einer leicht angerauten Oberfläche“, schreiben die Musikkritiker der
Fachzeitschrift auto motor und sport: „Drehen? Klar, geht auch, 6.000/min, gerne mehr,
dann setzt der Donner ein, keineswegs jedoch ein stärkeres Gefühl der Souveränität als
beim Anfahren.
Von „toxischer Männlichkeit“ kann hier übrigens keine Rede sein: Ein Drittel aller SUVs wird
von Frauen erworben, weit mehr von Frauen einfach nur gefahren. Das SUV ist kein
beinhartes Sportgerät, sondern Festung gegen alle Fährnisse des Verkehrs. Ein „Panic
Room“ auf vier Rädern.
Die derzeit gängige (besser: geländegängige) These besagt, dass der Besitz eines SUV
ikonografisch der Aufkündigung gesellschaftlicher Solidarität entspricht. Wer dergleichen
bewegt, im Straßenverkehr zumal, rufe „Platz da!“ und wünsche, dass alle anderen
Verkehrsteilnehmer sich trollen. Zwar entrückt die Welt, sobald ich es mir auf dem stufenlos
beheizbaren Hochsitz bequem mache. Wenn aber das SUV nicht Ursache, sondern Symptom
ist – wovon?
Wohl kaum davon, dass hier ein Konsens gekündigt wurde. Schaut man sich die
Zulassungszahlen an und in den Städten um, dann ist das SUV der Konsens.
Das SUV, das sind wir. Niemand kauft ein solches Monstrum wider besseres Wissen. Er kauft
es, eben weil er über den Krieg auf den Straßen – und nicht nur dort – informiert ist,
buchstäblich nicht unter die Räder kommen will.
Ein dystopisches Fluchtfahrzeug
Demnach ist das SUV eben kein „Suburban Assault Vehicle“, wie es in den USA genannt wird.
Sondern ein dystopisches Fluchtfahrzeug. Wenn dereinst alles zusammenbricht, dann kann
ich damit querfeldein den Abflug machen.
Es schützt uns vor einer allzu engen, allzu weichen, allzu niedrigen und gefährlichen Welt,
wobei es die Welt noch gefährlicher macht, wovor es uns aber schützt. Denn wir sitzen hoch
droben. Das zentralverriegelte SUV ist die Lösung für alle sozialen, ökonomischen und
ökologischen Probleme unseres Jahrhunderts.
Quelle: Ausschnitt aus https://taz.de/Die-Geschichte-des-SUV/!5623860/
Foto: Liesa
Johannssen/reuters
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